Kochbuch - Anno  1900

Bei diesem Kochbuch von werden die Sünden der industriellen Buchherstellung im ausgehenden 19.Jhd. katastrophal sichtbar und sind die Ursache für den totalen Zerfall. Als weitere zerstörende Ursache kam die unsachgemäße „Wiederherstellung“  des Bandes  hinzu.

Warum diese Bücher aus dieser Zeit so zerfallen? Dafür gibt es zwei Ursachen. Papier besteht hauptsächlich aus Zellulosefasern, die miteinander verfilzt sind. Bis ca. 1860 wurde Papier ausschließlich aus der Zellulose von Hadern (Lumpen) hergestellt. Durch den immer größere Bedarf an Druckerzeugnissen wurden diese Rohstoffe immer knapper. Einzelne Länder erließen sogar strenge Ausfuhrverbote für Hadern und Lumpen!
Da kam es gerade zur rechten Zeit, als es Gottlob Friedrich Keller 1845 gelang, aus Holzschliff Zellulose für die Papierherstellung zu gewinnen. Schon im 18. Jhd. berichtete der französische Naturforscher Reaumur über seine Beobachtungen, dass Wespen ihre Nester aus einem papierähnlichen Stoff herstellten, den sie gewannen, indem sie feine zernagte Holzspänchen mit ihrem Speichel mischten.
1852 wurde die erste Holzzeugmaschine konstruiert, womit Papier kontinuierlich in großem Umfang produziert werden konnte. Mit einem Male war die Misere der Papierknappheit gelöst. 
Was man nicht wissen konnte: Das im Holzschliff vorhandene Lignin war eine tickende Zeitbombe. Zum einen sorgt es für die baldige Vergilbung des Papiers. Weiterhin, in Zusammenwirkung des Luftsauerstoffs mit Resten noch vorhandener Schwefliger Säure, die zum Aufschließen der Zellulose verwendet wurde, zerstört es im Laufe der Jahrzehnte die molekularen Bindungen der langen Zellulosefasern – crackt sie in kurze Stückchen. Das Papier verliert immer mehr an Festigkeit und wird brüchig.
Dieser Prozess ist leider nicht wieder rückgängig zu machen und mit normalen Mitteln auch nicht aufzuhalten. Nur eine Stabilisierung des Buchverbandes selbst und sorgfältige Behandlung der Bücher aus dieser Zeit kann die Schäden in Grenzen halten.

Zu dem instabilen Zustand des verwendeten Holzpapiers kommt nun noch eine zweite Sünde der damaligen Zeit: Die Erfindung der Drahtheftmaschine
Jetzt konnten zwar Bücher vollmaschinell in großen Mengen und preiswert hergestellt werden. Doch die eisernen Drahtklammern setzten im Laufe der Jahre Rost an. Die rauen rostigen Klammern nagten bei jeder Benutzung des Buches wie kleine Sägen. In Verbindung mit dem immer brüchiger werdenden Holzpapier war das Ende des Buches vorprogrammiert.

Drahtheftmaschinen werden heute nicht mehr für die Buchherstellung verwendet. inzwischen gibt es hochleistungsfähige Fadenheftmaschinen. Natürlich nicht auf echte Bünde - das bleibt der Handbuchbinderei vorbehalten. 
Auch holzhaltige Papiere sind nicht mehr wie früher. Den Büchern heutiger Produktion steht - zumindest von diesen Faktoren her - eine längere Lebensdauer bevor. 

Bei diesem Kochbuch kam nun als dritte Sünde noch hinzu, dass es schon mal notdürftig und unfachgemäß - z.T. mit Tesafilm - „repariert“ wurde. Als "Einband" wurden einfach neue Pappdeckel mit grünem Kunststoff überzogen und mit Gaze hinten an den Buchblock angeklebt. Die dadurch eingebrachte Feuchtigkeit verhalf dem Rost an den Eisenklammern noch mal richtig zum Leben.

Ein solches Fragment kann, wie gesagt, nur durch Beseitigung der Beschädigungen und eine Stabilisierung des Gesamtverbandes durch Handbindung wieder für eine vorsichtige Weiternutzung tauglich gemacht werden. Eine vorsichtige Nutzung – denn das Papier bleibt brüchig! 

Zuerst werden die Drahtklammern aufgebogen und nach innen herausgezogen, Leimreste am Rücken entfernt und das Buch völlig auseinander genommen. 
 

Sehr viel Zeit beansprucht das Entfernen der vorherigen dilettantischen Reparaturversuche.
 

Die Ränder sind durch Luftfeuchtigkeit, Licht und Sauerstoff besonders brüchig und zerfallen schon beim Anfassen.

Eine Hauptarbeit der Ausbesserung besteht im Verkleben von Rissen, damit sie nicht weiter laufen, sowie der Stabilisierung von Knicken und Eselsohren. Fehlende Papierteile werden mit Bruchstücken ähnlichen Papiers und Japanpapier ergänzt. 

Die losen oder fast losen Blätter werden mit Fälzelstreifen aus Japanpapier zusammengefügt, damit wieder ein heftfähiger Falz entsteht. Langsam wird aus den losen Blättern wieder ein Stapel intakter Seitenlagen.

Am Ende ist wieder ein vollständiger Lagen-Block daraus geworden und wird nun 12 Stunden in der Presse geglättet.

Danach werden in den fest eingespannten Buchblock am Rücken Rillen eingesägt und gefeilt, die die Heftkordeln aus Hanf aufnehmen sollen. Die schmalen Rillen an Kopf und Schwanz dienen zur Aufnahme der Fitzbünde, wo der Heftfaden in die nächste Lage geführt wird.

In der Heftlade werden die Hanfkordeln senkrecht verspannt, sodass sie genau in den eingefeilten Vertiefungen liegen.

Lage für Lage wird nun mit Leinenzwirn auf die Bünde geheftet. D.h. um die Bünde herumgeführt - nicht etwa mit ihnen vernäht. (s. auch Kapitel Heftlade ). So entsteht eine feste, aber bewegliche Verbindung - Voraussetzung für eine dauerhafte Nutzung. 

Der fertig geheftete Buchblock wird aus der Heftlade genommen, gepresst und die Bünde straff gezogen. Danach werden sie auf 2 cm gekürzt, aufgefasert und flach auf den Leinen-Scharnierstreifen der Vorsatzlage geklebt. Gerade dicke und schwere Bücher benötigen eine Verstärkung der Vorsatzlagen mit einem Leinenstreifen. Sonst hängt die ganze Last des Buchblocks an den papiernen Vorsätzen – wie lange wohl…

Nach dem Trocknen der Verleimung wir der Buchblock mit dem Stapelschneider an drei Seiten gerade geschnitten. Das geschieht nicht nur aus ästhetischen Gründen. Durch den glatten Schnitt bildet der Buchblock nach außen eine geschlossene Fläche, in die nicht so leicht Staub und Schmutz eindringen kann. Dem selben Zweck dient, unter anderem, auch die spätere Schnittfärbung.

Mit Hammer und Geschick wird der Buchblock nun gerundet und in der Presse der Falz angehämmert. Die Notwendigkeit dieser Formgebung habe ich in dem Kapitel Das Buch dargelegt.

Das Einleimen des Buchrückens und Hinterkleben mit Natronpapier stabilisiert diese Form nun dauerhaft. Der Block muss nun 12 Stunden in der Presse bleiben.

Inzwischen werden aus Graupappe die neuen Buchdeckel zugeschnitten. Der Rücken bekommt durch aufgeklebte Pappstreifen, die sich durch Abschnüren in dem Rücken-Leder markieren, sogenannte falsche Bünde. 

 

Das ist eine rein ästhetische Maßnahme - unser Auge will die Fläche des Buchrückens quergeteilt sehen, so, wie es seit Jahrhunderten durch die echten Bünde geschult ist. Selbst bei billigen Büchern - ab einer gewissen Stärke – wird dem Rechnung getragen - und wenn es nur ein paar eingeprägte Linien sind. 
Anschließend werden die Pappdeckel und der eingelederte Rücken zum neuen Bucheinband zusammengefügt. Lederecken erhöhen die Gebrauchsfähigkeit.

Zur Gestaltung des Buchtitels wird vom Innentitel ein Scan gezogen und damit das Bezugspapier für die Deckel bedruckt. 

Nach dem Beziehen der Rohdecke mit dem Bezugspapier, ist die Einband-Decke fertig zum Einhängen des Buchblocks. Als Einhängen bezeichnet der Buchbinder das Verbinden der Decke mit dem Buchblock.
Vor dem Einhängen wird der Schnitt des Buchblockes noch gefärbt. Das dient, wie schon erwähnt nicht nur der Ästhetik. Das verhindert auch das Eindringen von Luftsauerstoff in die Ränder des Papiers, was besonders bei holzhaltigem Papier die weitere Zersetzung beschleunigt. Man kann das daran beobachten, dass Buchseiten holzhaltigem Papiers an den Außenrändern am meisten vergilbt und geschädigt sind.
Auch das nachfolgende Ankleben des farbigen Kapitalbändchens an Kopf und Schwanz des Buchblockes dient nicht nur der Schönheit, sondern stabilisiert den Verbund der Lagen. Außerdem soll es das Eindringen von Staub und Schmutz in den Buchrücken verhindern.
Als letzter Arbeitsgang wird nun abschließend der Buchblock eingehängt. Das geschieht durch Einleimen der beiden Spiegelseiten des Vorsatzes, samt den Leinenstreifen mit den aufgeklebten Bund-Enden, auf die Innseiten der Buchdeckel. Eine sehr kitzlige Arbeit. Wenn das das im wahrsten Sinne des Wortes „schief“ geht, ist das Buch verdorben.

Dann kommt das Buch in die Presse. Wo sich der Falz befindet, werden zur Vertiefung desselben dünne Stahlstangen eingelegt - siehe Pfeil.

Nach 24 Stunden kann es aus der Presse genommen werden. Ist alles gut gelungen sieht das so aus - das Buch ist nun fertig!

Allerdings - ganz fertig ist das Ganze doch noch nicht. Das Kochbuch soll als solches auch weiterhin genutzt werden. Darum habe ich, gewissermaßen als zusätzliche Erhaltungsmaßnahme, den in einem Kochbuch am meisten strapazierten Teil - die Registerseiten - eingescannt und daraus ein Beilagebändchen gedruckt. So muss nicht bei jedem Suchen nach einem Rezept der ganze schwere Band beansprucht werden.
Und um Schutz des Buches wird noch ein Schuber aus starker Graupappe angefertigt und anschließend mit strapazierfähigem „Elefantenhaut-Papier“ überzogen. 
Jedes gute Buch gehört in einen Schuber. Nicht nur wegen des Staubschutzes. Bücher leiden am meisten, wenn sie, womöglich nicht mal gestützt von anderen Büchern, schief im Regal stehen und so der Verbund immer lockerer wird.

Das Kochbuch ist nun endgültig fertiggestellt und kann weiteren Generationen zum nützlichen Gebrauche dienen. 

Zum vorsichtigen Gebrauche, denn, wie schon gesagt – das Papier bleibt brüchig.

So wird es hoffentlich noch weitere hundert Jahre überdauern.

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P.S. Drahtheftmaschinen werden heute nicht mehr für die Buchherstellung verwendet.Inzwischen gibt es hochleistungsfähige Fadenheftmaschinen. Natürlich nicht auf echte Bünde - das bleibt der Handbuchbinderei vorbehalten. 
Auch holzhaltige Papiere sind nicht mehr wie früher. Den Büchern heutiger Produktion steht - zumindest von diesen Faktoren her - eine längere Lebensdauer bevor.